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S. Gumpel
Gedenken am sowjetischen Ehrenfeld auf dem Luckenwalder Waldfriedhof

DIE LINKE. Teltow-Fläming

Gedenken für die Opfer des Faschismus

Manfred Thier
Gedachten auf dem Friedhof des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stalag III A in Luckenwalde: Erik Scheidler (l.), Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE/ BV in der Stadtverordnetenversammlung Luckenwalde, und Felix Thier, Vorsitzender der Kreistagsfraktion DIE LINKE/ Die PARTEI und des Kreisverbandes der LINKEN Teltow-Fläming

Am heutigen Tag des Gedenkens für die Opfer des Faschismus fanden auch in unserer Region Gedenkveranstaltungen statt. Exemplarisch möchten wir hier die Rede von Martin Zeiler wiedergeben, die er heute als Stadtverordneter der LINKEN anlässlich des Gedenkens in der Stadt Luckenwalde gehalten hat.

"Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Herzog-von der Heide, sehr geehrter Herr Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, Jochen Neumann, sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger von Luckenwalde,

im Children’s Memorial der Holocaust Gedenkstätte, Yad Vashem, in Jerusalem wird an die über 1,5 Millionen ermordeten jüdischen Kinder und Jugendlichen im Nationalsozialismus gedacht. Ein Endlostonband nennt ihre Namen, Alter und Geburtsort. Es brauch drei Monate, um einmal durchzulaufen.

Wie konnte so etwas Entsetzliches passieren? Hat das niemand bemerkt?

,Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.' – Martin Niemöller

Diese Worte sind zeitlos und ließen sich ohne weiteres auf andere ethnische und religiöse Minderheiten oder Bevölkerungsgruppen übertragen. Sie mahnen uns, dass wir die Augen niemals vor gesellschaftlicher Diskriminierung und Anfeindung schließen oder untätig bleiben sollten.

Gleichzeitig erinnern uns diese Worte an eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, den Nationalsozialismus. Ein Kristallisationspunkt der Verbrechen des Hitler-Faschismus symbolisiert das Konzentrationslager Auschwitz, dass heute, vor 75 Jahren, von der sowjetischen Armee befreit wurde und in dem schätzungsweise eine Million Menschen ermordet worden sind. Die gezielte, massenhafte und industrielle Vernichtung von Menschen, die gemäß der NS-Rassenideologie nicht ins Bild der sogenannten ,Volksgemeinschaft' passten, stellt einen Zivilisationsbruch dar, der in der Menschheitsgeschichte beispiellos war, ist und bleiben muss.

Wir wissen, dass auch die letzten Zeitzeugen ihre Erinnerungen und Erfahrungen nur zeitlich begrenzt an die nächsten Generationen weitergeben können. Damit diese persönlichen Bezüge zur deutschen Geschichte im kollektiven Gedächtnis nicht in Vergessenheit geraten, erklärte Roman Herzog den 27. Januar zum zentralen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. In diesem Sinne ist es umso wichtiger, dass wir heute derer gedenken, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt und ermordet wurden.

Ich erlaube mir an dieser Stelle meine persönliche Sicht zu diesem Teil der Geschichte zu schildern: Als der 27. Januar am 3. Januar 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ erklärt wurde, war ich fünf Jahre alt. Von einem historischen Bewusstsein konnte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein. Ab dem Zeitpunkt aber, wo ich Lesen wie Schreiben konnte und somit theoretisch wie praktisch in der Lage war, mir Wissen selbst anzueignen, war meine Familie darauf bedacht, meine Schwester und mich für diesen Abschnitt der deutschen Geschichte zu sensibilisieren. Dementsprechend unternahmen wir in meiner Kindheit und Jugend Reisen nach Sachsenhausen, Buchenwald und Auschwitz. Für dieses Engagement bin ich meiner Familie sehr dankbar.

Insbesondere in Auschwitz kann einem beim Anblick des Zugwaggons, in denen die Menschen ins KZ gebracht wurden, den Baracken mit den viel zu kleinen Betten für mehrere erwachsene Menschen oder den meterhohen Stacheldrahtzäunen, der Atem stocken. An der zynisch betitelten ,Endlade- oder auch Judenrampe' wurden die Menschen von sogenannten ,Lagerärzten' untersucht, die über ihr Schicksal entschieden – zwischen Arbeitsfähigen und denen, die sofort in die Gaskammer geschickt wurden. Bestürzt stand ich den großen Glasschaufenstern gegenüber, hinter denen sich Berge von Schuhen, Prothesen, Schmuck und anderen persönlichen Gegenständen der ehemaligen Insassinnen und Insassen auftürmen. Den Menschen wurde alles genommen: ihr Eigentum, ihre Würde, ihr Mensch-Sein und am Ende ihr Leben. Es lässt sich nur erahnen, welch‘ Ungeheuerliches sich in jedem einzelnen KZ zutrug. Darüber legt Auschwitz in besonderer Weise Zeugnis ab.

Auschwitz als Symbol der Entmenschlichung, sowohl bei Täter*innen, als auch Opfern, als Symbol dafür, was Menschen anderen Menschen antun können, muss eine tragende Säule in der Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen im privaten, wie im schulischen Bereich bilden – denn Aufklärung und Bildung spielen eine große Rolle für kritisches Denken und Handeln. Theodor W. Adorno bracht es in ,Erziehung zur Mündigkeit' folgendermaßen auf den Punkt: ,Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen […] Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem einen gegenüber, daß Auschwitz sich nicht wiederhole. Es war die Barbarei, gegen die alle Erziehung geht.' Das ist auch der eigene Anspruch an mich selbst, meine zukünftigen Kinder und die Gesellschaft, in der ich leben möchte. Auf eine ;erinnerungspolitische Wende um 180 Grad' – wie es bestimmte politische Kräfte fordern – kann ich verzichten.

Zum Staat Israel verbindet Deutschland eine besondere Beziehung. Aus diesem Grund und persönlicher Faszination unternahm ich im November 2019 eine Reise dorthin. In diesem Zusammenhang besichtigten meine Freundin und ich unter anderem die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Die Architektur des Gebäudes allein erzählt neben den zahlreichen Räumen und der Fülle an Quellen, die dort zugänglich sind, seine ganz eigene Geschichte. So ist das Museum tunnelförmig aufgebaut und erweckt damit den Eindruck, dass es, je tiefer man hinein geht, es umso schmaler wird. Am Ende trat ich aus dem Tunnel heraus und hatte die Möglichkeit auf einer Terrasse einen weiten Blick über das Land zu bekommen. Der Aufbau dieses Gebäudes steht sinnbildlich für den Überlebenskampf der Jüdinnen und Juden, ihrer beinahe Vernichtung im Dritten Reich und ihrer Befreiung. Dass mit der Gründung des Staates Israel 1948 die Jüdinnen und Juden einen eigenen Staat bekamen, ist nur die historische Konsequenz aus der Shoah, dem Holocaust. Bei aller Kritik an der Regierungspolitik Israels, die mal mehr, mal weniger berechtigt ist, darf eines jedoch nicht vergessen werden: Israels Existenzrecht sollte für uns Deutsche niemals zur Disposition stehen. Das ist unsere geschichtliche Verantwortung. Und wir sollten in Zukunft darüber nachdenken, ob wir dieser Verantwortung noch stärkeren Ausdruck verleihen wollen, in dem wir als Luckenwalde mit einer Gemeinde in Israel eine Städtepartnerschaft eingehen.

Dass unser aller Engagement und Gedenken notwendig ist, unterstreicht einmal mehr der antisemitisch und rassistisch motivierte Anschlag eines Rechtsextremisten auf eine Synagoge in Halle (Saale). Eine Stadt, mit der ich mich aufgrund meines Studiums, eng verbunden fühle. Auch hier gilt es nochmal zu appellieren: Keiner braucht die religiösen Ansichten, Sitten und Bräuche bestimmter Religionen teilen. Dass Menschen aber bei der Ausübung ihrer Religion, ein im Grundgesetz verankertes Menschenrecht, Angst um ihr Leben haben müssen, ist inakzeptabel. Nicht nachzuvollziehen ist daher, dass der ,Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten' im November 2019 die Gemeinnützigkeit aberkannt worden ist. Dabei wäre es heute umso wichtiger, alle demokratischen Kräfte zu bündeln, um Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, egal in welcher Form, konsequent entgegenzutreten zu können.

Ich stehe heute nicht nur als Stadtverordneter von Luckenwalde hier, sondern auch als junger Bürger dieser Stadt. Ich trage keinerlei Verantwortung für das, was damals passiert ist. Aber ich trage die Verantwortung, die Geschichte nicht vergessen zu lassen. ,Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.', mahnte Heinrich Heine einst. Ich würde ergänzen: dort, wo wir Geschichte vergessen, vergessen wir auch was die Geschichte uns lehrt. Gegen das Vergessen!

Ich bedanke mich an dieser Stelle für die Aufmerksamkeit und würde nun alle bitten, mit mir der Opfer des Nationalsozialismus in einer Schweigeminute zu gedenken."


"Luckenwalde steht links."

Theodor Fontane (1819-1898), Wanderungen durch die Mark Brandenburg

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